Zukunft braucht Mut – Leere Bänke

Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl haben wir die auf Platz eins stehenden Kandidatinnen und Kandidaten der hessischen Landeslisten von Bündnis 90/Die Grünen, der CDU, der SPD, der FDP und den Linken zum Thema „Leere Bänke bei Bundestagssitzungen“ befragt. Uns interessierte ihre ganz persönliche Meinung zu folgenden Fragen:

Warum finden Bundestagssitzungen vor leeren Bänken statt? 
Welche nachvollziehbaren Gründe gibt es für das Fernbleiben der Abgeordneten? 
Wie kann der aus diesem Grund ggf. entstehenden Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger entgegengewirkt werden? 

Folgende Antworten haben wir erhalten:

CDU – Staatsminister Prof. Dr. Helge Braun MdB

Die Sitzungen des Deutschen Bundestages finden in der Regel von Mittwoch bis Freitag in den Sitzungswochen statt. Von Montag bis Freitag treffen sich die Abgeordneten in den fachlichen Arbeitsgruppen und Ausschüssen, um konkret über die einzelnen Gesetze zu beraten und abzustimmen.
Sofern man in den Medien nur wenige Abgeordnete im Plenarsaal sieht, handelt es sich meist um die Fachpolitiker der jeweiligen Fraktionen. Wird also im Plenum beispielsweise über Bildungspolitik beraten, so trifft man sicher alle Abgeordneten an, die sich im Ausschuss für Bildung und Forschung engagieren. Bei großen Debatten, wie zum Beispiel Regierungserklärungen, herrscht aber in der Regel volle Präsenz und der Plenarsaal ist voll – mit allen Abgeordneten.
Im ersteren Fall bedeutet jedoch nicht, dass die Abgeordneten, die gerade nicht im Plenarsaal sind, in dieser Zeit nicht arbeiten würden. Vielmehr nehmen sie an parallel stattfindenden Sitzungen, Anhörungen, Berichterstatter- oder Fachgesprächen teil oder bereiten sich auf ebendiese vor. Dies unterscheidet das sog. Arbeitsparlament von anderen Formen des Parlamentarismus, wie man es beispielsweise im angelsächsischen Raum (britisches Unterhaus) findet. Manche Parlamente debattieren ein Gesetz, haben aber nur die Möglichkeit, die Vorlage der Regierung anzunehmen oder abzulehnen. Der Bundestag kann – und das tut er oft – Gesetze auch ändern. Deshalb findet auch viel Arbeit jenseits der Plenardebatte und außerhalb des Plenarsaales statt.

Diese Hintergründe sind nicht allgemein bekannt. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen den Deutschen Bundestag als Organ der Gewaltenteilung, jedoch nicht dessen Arbeitsweise. Durch politische Bildungsfahrten für Erwachsene und insbesondere Schülergruppen sowie den zahlreichen täglichen Einzelbesuchern, die das Parlament täglich besichtigen, sind wir bereits auf einem guten Weg den Menschen unsere Arbeit im Deutschen Bundestag näherzubringen.

FDP – Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP

Warum finden Bundestagssitzungen vor leeren Bänken statt?
Das Mandat eines Abgeordneten ist vielfältig. Es umfasst neben der Arbeit an Anträgen und Gesetzesentwürfen auch die Teilnahme an Ausschüssen und Gremien, die Beantwortung von Post aus dem Wahlkreis, Gespräche mit Bürgern und Vertretern der Zivilgesellschaft, anderen Abgeordneten sowie Interessenvertretern.
Dies findet immer wieder auch parallel zu den Plenarsitzungen statt – im Hessischen Landtag z.B. kommen an Plenartagen viele Besuchergruppen, die mit Abgeordneten aller Fraktionen sprechen möchten, was diese auch sehr gerne ermöglichen. Im Deutschen Bundestag finden selbst Ausschusssitzungen parallel statt, so dass der Abgeordnete gleichzeitig an zwei Orten sein muss.
Insofern bedeutet die Abwesenheit eines Abgeordneten während der Plenarsitzung nicht, dass er nicht arbeitet. Die Sitzungen im Plenum sind ein sehr wichtiger Bestandteil dieser Arbeit, weil sie Öffentlichkeit schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern klar und transparent die Haltung der Parteien verdeutlichen.

Welche nachvollziehbaren Gründe gibt es für das Fernbleiben der Abgeordneten?
Die Gründe für eine Nichtteilnahme können unterschiedlich sein, sollten aber immer wohl begründet und gewichtig sein. Da während der Plenarsitzungen alle Abgeordnete für Bürger, Behördenvertreter, Journalisten und viele andere verlässlich erreichbar sind, findet gerade an diesen Tagen eine Reihe von Terminen statt, bei denen der Abgeordnete zeitweise den Plenarsaal verlässt.
Dies können Besuchergruppen, Ausschusssitzungen, Interviews oder z.B. Behördenrücksprachen sein. Wichtig ist aber deutlich zu machen, dass der politische Willensbildungsprozess der Abgeordneten nicht erst im Plenum beginnt, sondern bereits vor einer Abstimmung innerhalb der Fraktionen, Gremien und Ausschüsse.
Daher sind auch stets die jeweils zuständigen Fachsprecher der Fraktionen anwesend, da sie bei den Themen die Federführung haben. Insofern sollte die Anwesenheit während der Debatten sowie die Teilnahme an den Abstimmungen nicht die ausschließliche Richtschnur für die Leistung und das politische Engagement der Abgeordneten sein.

Wie kann der aus diesem Grund ggf. entstehenden Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger entgegengewirkt werden?
Das Parlament ist der Ort, an dem Demokratie nicht nur erlebbar wird, sondern auch unser gemeinsames Zusammenleben auf der Grundlage von Gesetzen geregelt wird. Die Bürger erwarten zu Recht, dass ihre Volksvertreter sich hier einbringen und auch in den Debatten Präsenz zeigen.
Im Rahmen der Parlamentsreform 1995 wurde die Plenar-Kernzeit im Bundestag eingeführt. In diesen „Kernzeitdebatten“ werden die wichtigsten Themen der Sitzungswoche behandelt. Meistens findet diese am Donnerstag an einem Vormittag statt. Um allen Abgeordneten eine Teilnahme zu ermöglichen, finden zu diesem Zeitpunkt keine Sitzungen anderer Gremien statt.
Ich finde, dies ist ein guter Ansatz, um zu zeigen, dass im Bundestag die zentralen Fragen beantwortet werden, um die es in unserem Land geht. Gleichzeitig sollten wir gemeinsam aber auch über die anderen Arbeitsfelder der Abgeordneten aufklären und den vollen Umfang der Arbeit deutlich machen. Hier kommen die Abgeordneten i.d.R. wenigstens auf 80-90 Stunden pro Woche, einzelne Abgeordnete auch auf Arbeitszeiten von mehr als 100 Stunden pro Woche.

Wir haben durch diese Antworten dazugelernt und hoffen, dass es Euch genauso geht. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an die beiden KandidatInnen!

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